Der Blog rund um die Wurzelsuche

Jahrestagung der BAG Adoption und Inpflege: kleine Nachlese

Wie Sie, liebe BlogleserInnen, wissen, fand am ersten Mai-Wochenende die 19. Jahrestagung der BAG Adoption und Inpflege in Frankfurt statt. Das Thema lautete „Herkunftsklärung in der Biographiearbeit“.  Deshalb hat es mich sehr gefreut, dabei zu sein, als sich hier VertreterInnen von Pflege-, Adoptiv- und Herkunftseltern, von (ehemaligen) Kindern aus Adoptiv- und Pflegefamilien und Fachstellen zum zweitägigen Austausch trafen.

Nun ist die Tagung schon vier Wochen her, so dass es schon fast zu spät ist für eine klassische „Nachlese“. Oft werden die ersten Bilder und Kommentare im Internet ja schon veröffentlicht, während eine Veranstaltung noch läuft. Aber unsere Tätigkeit, die Herkunftsberatung, ist alles andere als ein schnelllebiges Geschäft. Und so möchte ich heute mit Ihnen ein paar Erkenntnisse aus der Tagung teilen, die uns nachhaltig beeindruckt haben.

Die vier Fachvorträge am ersten Tag der Veranstaltung bauten inhaltlich aufeinander auf:

  • Zukunft wächst aus Herkunft: Wie nähern sich Adoptierte dem Thema ihrer Herkunftsklärung an?
  • Wie sieht die Unterstützung durch die Adoptionsvermittlungsstellen aus?
  • Welche weiteren Möglichkeiten der Wurzelsuche gibt es? (Mein Part)
  • Familiensuche mittels DNA-Tests – Erfahrungen koranischer Adoptierter

Der offizielle Bericht zur Tagung ist im Blog des PFAD Bundesverbands zu finden, inklusive Links zu den Websites der Vortragenden. Hier einige Schlaglichter auf die Vorträge meiner MitreferentInnen:

Eine Sprache, die stark macht, und Lektüre-Tipps

Dr. Peter G. Kühn, Adoptionsforscher aus Dresden, sprach über die „biografische Aneignung der Adoptionsgeschichte“. Der Begriff „Aneignung“ hat es mir sehr angetan. Denn er weist darauf hin, dass Adoptierte sich ihre Geschichte selbst aktiv zu eigen machen können. Dieser Gedanke hat etwas sehr Positives, Bestärkendes, so dass ich dem Begriff „Aneignung“ ab sofort einen festen Platz in meinem aktiven Wortschatz gegeben habe.

Herr Dr. Kühn hat nicht nur sehr fundiert, sondern auch lebendig, bildhaft und verständlich über seine Forschungsergebnisse und persönlichen Erfahrungen gesprochen. Deshalb möchte ich auch seine Bücher empfehlen, insbesondere den Titel „Zukunft wächst aus Herkunft. Adoptierte suchen ihre Wurzeln“.

Unterstützung, die wirkt, und ein Tipp für das erste Treffen

Wie die Adoptionsvermittlungsstellen „ihre“ Adoptierte bei der Wurzelsuche unterstützen, schilderte Frau Elke Breunig vom Evangelischen Bundesverband Adoption e.V. Ihre Herangehensweise ist im Großen und Ganzen dieselbe, wie wir sie für unsere KlientInnen entwickelt haben. Ich sehe darin eine schöne Bestätigung unserer Arbeit. Und für Adoptierte ist es gut zu wissen, dass es ein bewährtes Prozedere für Herkunftssuchen und Kontaktanbahnungen gibt.

Neben vielen Smileys und Ausrufezeichen im Handout habe ich mir einen Eisbrecher-Tipp von Frau Breunig notiert: Fotos zum ersten Treffen mit den Herkunftseltern mitbringen! So hat man etwas, auf das man seinen Blick richten kann, wenn einem der direkte Augenkontakt zunächst zu nahe geht.

Weitere Möglichkeiten der Wurzelsuche und Familiensysteme in Bewegung

Viele Adoptionsvermittlungsstellen sind Sparzwängen unterworfen und können unter Umständen nicht so helfen, wie sie es eigentlich wollen. Manchmal existiert keine Adoptionsakte (mehr), oder sie enthält keine verwertbaren Informationen für eine Suche, die erst Jahrzehnte später startet. Das gilt insbesondere für Vatersuchen. Deshalb muss es auch kommerzielle Suchdienste wie die Herkunftsberatung geben. Dann sind detektivischer Spürsinn, Quellen-Kenntnis und unser internationales Netzwerk gefragt.

Doch die Herausforderung liegt nicht nur in der Suche selbst. Sondern in der Frage, wie die Kontaktaufnahme für alle Beteiligten gut gestaltet werden kann. Denn oft geraten ganze Familiensysteme in Bewegung, wenn plötzlich neue-alte Personen hinzukommen. Deshalb erläuterte ich, wie wir die Kontaktanbahnung in schwierigen Fällen ermöglichen. Um unsere KlientInnen zu unterstützen, sind wir eng mit Expertinnen der systemischen Familientherapie vernetzt. Anhand von Genogrammen wurde deutlich gemacht, welche Rolle die systemische Arbeit bei der Herkunftsklärung spielen kann. Eines der Praxisbeispiele aus meinem Vortrag finden Sie auch hier im Blogbeitrag „Wenn Familiensysteme in Bewegung geraten“.

Adoptierte aus Korea: DNA-Datenbanken, kulturelle Hürden und ein Film

Was, wenn all diese Anlaufstellen nicht helfen können? Man denke beispielsweise an Babyklappen, Zwangsadoptionen in der DDR oder anonyme Samenspenden. Betroffen sind auch Adoptierte, deren Wurzeln im fernen Ausland liegen.

Tim Hanstein, Vorstandsmitglied von Koreanische Adoptierte Deutschland e.V., schilderte die Situation Zigtausender Adoptierter, die als Kinder von Korea nach Nordamerika, Europa und Australien vermittelt wurden. Ihre Herkunftssuche scheitert nicht nur an der geographischen Entfernung und hohen Sprachbarrieren, sondern auch an kulturellen Unterschieden, was das Verständnis von „Familie“ betrifft. Seit Ende des Koreakriegs (1953) gab es zahllose Kinder ohne Familie, was auf Kriegsopfer, Armut und die mangelnde Akzeptanz lediger Mütter zurückzuführen ist. Jahrzehntelang schien es einfacher zu sein, diese Kinder ins Ausland zu vermitteln, als sie in einem entsprechend aufwändigen Sozialsystem aufzufangen. Für sie sind heute die modernen DNA-Analyse-Portale ein letzter Hoffnungsschimmer. Weil aber wenige Koreaner sich registrieren lassen, finden Adoptierter koreanischer Herkunft über DNA-Datenbanken eher Halbgeschwister, die wie sie ins Ausland adoptiert wurden, als leibliche Verwandte in Korea.

Mich hat beeindruckt, wie gut die koreanischen Adoptierten international vernetzt sind und wie unermüdlich sie um ein neues Verständnis in ihrem Herkunftsland kämpfen. Am Tagungswochenende wurde Herr Hanstein von einem koreanischen TV-Team begleitet, das sich für das deutsche Adoptionssystem interessierte. Die Reportage ist auf KBS News zu sehen.  (Nein, auch wir beherrschen die koreanische Sprache nicht, aber viele Passagen sind im deutschen Original mit koreanischen Untertiteln zu sehen.)

Mein Fazit

Die Tagung war eine wunderbare Gelegenheit, wertvolle persönliche Kontakte zu Menschen, mit denen wir unser Kern- und Herzensthema teilen, neu zu knüpfen und zu vertiefen. Die lebhaften Diskussionen, die sich spontan entsponnen, brachten viele Facetten und Knackpunkte des Themas Herkunftssuche zu Tage.

Die Organisatorinnen der Tagung haben wohlweislich geplant, dem Thema „Biographiearbeit“ nicht nur eine, sondern zwei Veranstaltungen zu widmen: Auf der kommenden Jahrestagung 2020 geht es mit Teil 2 weiter. Ich würde mich sehr freuen, mit der Herkunftsberatung erneut dabei zu sein!

 

Bildnachweis: family-451358, CC0 @422737, pixabay.com

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