Der Blog rund um die Wurzelsuche

„Die Suche lässt sich delegieren, die emotionale Seite nicht.“

Diesen Satz sagte mir vor einigen Tagen ein Klient – nennen wir ihn Bernd -, der uns mit der Suche nach seinem leiblichen Vater beauftragt hatte. Im Vorgespräch war er relativ sachlich. Es schien, als würde ihn die ganze Suche nicht wirklich emotional betreffen. Seine Geschichte und die Gründe, warum er seinen leiblichen Vater nicht kannte, schilderte er mir in derselben Art, wie er wohl den Gebrauch einer neuen Küchenmaschine erklären würde, so schien es mir.

Beklemmende Suchergebnisse

Die Suche nach dem Vater verlief erfolgreich. Leider musste ich erfahren, dass der Vater schon sehr früh verstorben war. In dem Moment, als ich Bernd die traurige Nachricht übermittelte, änderte sich etwas. Bernd schien emotional bei seiner Suche angekommen. Er interessierte sich stark dafür, warum sein Vater so jung gestorben war. Natürlich spielte auch die Sorge um eventuelle Erbkrankheiten eine Rolle. Ich besorgte ihm die Informationen zu den Todesumständen. Im Autopsiebericht war zu lesen, dass jahrelanger Alkoholmissbrauch zu dem frühen Tod geführt hatte. In einem anderen Dokument wurde erwähnt, dass ein Notarzt um 4 Uhr nachts gerufen worden sei. Der Vater hatte jedoch alleine gelebt. Anhand weiterer Unterlagen puzzelten wir zusammen, dass seine damalige Lebensgefährtin offensichtlich nachts zu ihm gekommen war und ihn tot auffand. Bernd wollte jedes Detail genau wissen.

Herkunftssuche: Wie viel Wahrheit verträgt ein Mensch?

Die Fakten, die wir recherchieren, machen etwas mit den Menschen, und jeder reagiert anders. Unsere Aufgabe in der Herkunftsberatung ist es nicht, unsere Klienten zu schonen, wenn sie es nicht ausdrücklich wünschen. Doch wir wägen sehr wohl ab, welche Informationen ein Klient bekommen möchte oder nicht. In einem anderen Fall beispielsweise benötigte ich eine Information aus einer Adoptionsakte. Die Adoptionsakte selbst durfte ich dem Klienten jedoch nicht zeigen: Er wollte ausdrücklich nicht wissen, wie schlimm es als Säugling um ihn gestanden hatte.

Nicht so Bernd. Er wollte sogar den Autopsiebericht in voller Gänze haben, den zu lesen uns schon großes Unbehagen bereitet hatte. Schließlich fanden wir noch weitere Kinder des Gesuchten und eine Exfrau. Bernd hat bis heute keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen wollen. Er ist emotional noch nicht so weit.

Ein emotionaler Prozess und seine Bewältigung

Bernds Ausspruch, dass man die Suche delegieren kann, die emotionale Seite jedoch nicht, fand ich sehr bezeichnend. Und ich möchte all denen, die diesen Blogbeitrag lesen, genau dies nahebringen: Es ist ein tiefgreifender emotionaler Prozess mit so einer Herkunftsklärung verbunden. Dieser Prozess muss höchstpersönlich durchlaufen werden. Als Herkunftsberaterinnen können wir beistehen, zuhören, vermitteln und Hintergründe recherchieren. Die Gefühle zu durchleben, können wir niemandem abnehmen. Wir haben aber ein breit aufgestelltes Netzwerk und, wie ich finde, sehr gute Fachkräfte, die bei der Bewältigung auch der emotionalen Seite helfen können.

 

Bildnachweis: Man_Refe_58a209a5007d7_StockSnap_EZEDPDZK52, getrefe.com

„Die Suche lässt sich delegieren, die emotionale Seite nicht.“